Ist die Ostschweiz schön?

Über Geschmack lässt sich nicht streiten oder «de gustibus non est disputandum» wie der Originaltext lautet. Selten jedoch weichen die Meinungen so sehr voneinander ab, wie bei der Frage, was schön ist uns was nicht. Den langjährigen Mitgliedern des VCO’s sollte dies bekannt vorkommen, werden sie doch alle paar Jahre an der Hauptversammlung mit der Frage gequält, ob nun Design A oder B, oder doch vielleicht C die Farben des Trikots der kommenden Saison bestimmen soll.

Nun, keine Angst, bei diesem Bericht geht es um etwas viel Banaleres, nämlich eine Velotour des Präsis und des Webmasters raus in die Ostschweiz oder besser gesagt, rein ins Getümmel der Tour de Suisse rund um Frauenfeld. Um 10:50 treffen sich die beiden Protagonisten wie so oft, wenn es auf eine längere Rennradtour geht, vor dem «Haupteingang» des Flughafen Zürich. Abgemacht wäre eigentlich 10:45 gewesen, aber wie ihr alle wisst, ist es schwierig, auf dem Velo eine genaue Zeit einzuhalten, da viele Komponenten wie Wetter, Tagesform oder die Materialwahl mit reinspielen. Nun, vor Wochenfrist ist der Schreibende exakt und wie vereinbart um 16:30 im Café Prückel in Wien eingetroffen, damals betrug die Anfahrt 770 Kilometer, heute deren 4.5. Der Presi nimmt es ihm aber nicht übel, denn wie so oft ist er «nature» angereist, das heisst, er muss zuerst einiges an Kalorien zu sich führen, in der örtlichen Bäckerei.

Frisch gestärkt machen sich die beiden also los in Richtung Frauenfeld. Da die direkte Strecke mit ca. 40 Kilometern zu kurz wäre, hatte sich der Webmaster auf seinem neuen Lieblingstool Komoot, einer Internetplattform zur Planung von Wander- und Velotouren, eine hübsche Schleife über Berg am Irchel – Marthalen – Diessenhofen auf sein GPS-Gerät heruntergeladen. Seit der Tour nach Wien ist er von diesem Tool ganz begeistert – ob es der Presi auch ist? Damals liess er sich durch eine nette Frauenstimme über Kopfhörer die Richtungen vorgeben, immerhin war es dadurch möglich, täglich 200 km über ihm noch nicht bekannte Nebenstrassen zu rollen. Heute erfolgt die Navigation aber über einen Pfeil auf kleinem Bildschirm, begleitet von einem nervenden Dauer-Gepiepse bei sämtlichen Richtungsänderungen und unterbrochen von einem dumpferen Surren, immer dann, wenn sie die Strecke verlassen oder wieder auf diese zurück finden. Da sie sich nicht an die Originalstrecke halten kann es das kleine Ding akustisch fast mit einem Spielsalon aufnehmen. Der Presi beschwert sich aber erstaunlicherweise nicht, offenbar überwiegt bei ihm die Freude über das herrliche Sommerwetter, die gut geteerten und verkehrsarmen Strassen und die prächtige Landschaft.

Apropos schöne Landschaft: Nun folgt eine Episode vom Presi, welche der Schreibende nicht zum ersten Mal und ziemlich sicher auch nicht zum letzten Mal hören wird: «Vor ca. 10 Jahren bin ich oft durch diese Gegend gefahren, vornehmlich auf dem Rückweg aus dem Schwarzwald her kommend. Damals habe ein gewisser jemand ständig moniert, dass die Gegend nördlich von Zürich und die Ostschweiz «nüt chöi».» Nun, sein Kumpan mag sich nur noch vage daran erinnern und nimmt diese Kritik peinlich berührt zurück.

In Diessenhofen entscheiden sie sich spontan, noch länger dem pittoresken Gewässer des Rheins zu folgen. So gelangen sie schliesslich nach Stein am Rhein, wo sie sich die zweite Zwischenverpflegung genehmigen. Die Dritte folgt 10 Kilometer südöstlich in Herdern, bereits an der Strecke der ersten Etappe der Tour de Suisse, einem Mannschaftszeitfahren über 18,3 km. Locals haben hier eine Bar mit Grill eingerichtet. Die beiden lassen sich nicht zweimal bitten und bestellen eine Käse-Bratwurst – solches Engagement muss schliesslich honoriert werden. Die gute Wurst landet im Magen, noch bevor sich das Wildcard Team Nippo – Vini Fantini – Europa Ovini auf die Strecke wagt. Die Zeitspanne, bis die später siegreiche Formation von BMC mit Lokalmatador Stefan Küng an ihnen vorbeisaust, nutzt insbesondere der Presi um mit der lokalen Bevölkerung über schöne und weniger schöne Gegenden der Schweiz zu debattieren. Aber eben, über Geschmack zu streiten bringt wenig. Glücklicherweise waren sich die Gesprächspartner in den wichtigsten Punkten einig und die Diskussionen endeten friedlich.

In Stein am Rhein gönnen sich die beiden Tourenfahrer einen gluschtigen Himbeerkuchen

Den Weg ins Gewusel des Zielgeländes in Frauenfeld ersparen sie sich schliesslich. Es reicht, dass die anwesende Prominenz  in silbergrauen Skodas an ihnen vorbeigefahren ist. Hinter jedem Team folgte mindestens einer, chauffiert von einem ehemaligen Radprofi mit mehr oder weniger erfolgreichem Palmarès. An den Fahrzeugen waren Aufkleber in gut lesbarer Schrift mit Namen wie «Markus Zberg», «Dani Schnider» oder «Florian Stalder» angebracht.

Als sich auf der Rückfahrt des Webmasters piepsender Begleiter in Folge leerem Akku verabschiedet, atmet der Presi erleichtert auf und gibt ein «itz chöi mir ändlech Fahre» von sich. Die eingangs erwähnte Vermutungen bestätigt sich also. Durch die Tatsache, dass auch ihren Smartphones der Saft ausgeht, gipfelt der Nachhauseweg gar in einem kleinen Abenteuer. Nun bleiben ihnen in der doch nicht so vertrauten Gegend nur noch die Orientierung an der untergehenden Sonne und an Strassenschildern, die entweder mit «Schaffhausen» oder «Winterthur» beschriftet sind. Vor gut zehn Jahren entsprach eine solche Situation der Normalität. Obschon der Webmaster jemand ist, der gerne sämtliche technischen Errungenschaften nutzt, welche einem das Leben erleichtern, macht ihm diese Art der Navigation dennoch fast mehr Spass.

Spass hat auch der Presi an seiner aufsteigenden Form. Die 500 km in der vergangenen Trainingswoche in Spanien waren offenbar die Richtige Mischung zwischen Belastung und Erholung. Jedenfalls wuchtet er jeden der zahlreichen Anstiege in einem dicken Gang hoch und der Webmaster muss mich strecken, will er den Anschluss nicht verlieren. Auch fallen seine Ablösungen deutlich kürzer aus.

Am Ende des Tages sind schliesslich beide erleichtert, den Gasthof Hecht in Seeb-Winkel (von früheren Touren als F/A-18-Beiz bekannt) trocken erreicht zu haben. Die Vorteile dieser Gaststätte sind eine gemütliche Gartenwirtschaft, in welcher sich auch ohne vorzeitige Reservation immer ein freier Tisch findet, bei gleichzeitig ordentlichem Essen zu fairen Preisen. Geld gespart haben sie am heutigen Tag trotzdem nicht (aufmerksame Leser stellen fest, dass die Fahrer nun bereits zum vierten Mal das Portemonnaie zücken müssen), aber das war und ist ja auch nie das Ziel einer VCO-Tour gewesen.

Der Grund, warum der Presi darauf bedacht ist, dass der Clubname von einem 90-Jährigen aus einer Distanz von 30 Metern gelesen werden kann
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